Heike Matthiesen (1964–2023) | Nachruf

Heike Matthiesen © Kaupo Kikkas
Heike Matthiesen © Kaupo Kikkas

Heike Matthiesen starb am 22. Dezember 2023. Sie war seit 2017 Teil des geschäftsführenden Vorstands beim Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik, dem Trägerverein des Archivs Frau und Musik.

Mit ihrer Krebserkrankung ging Heike sehr offen um und sie sprach immer ehrlich und direkt über ihre Situation. Stets war sie für den Vorstand und das Team im Archiv da – ihre überzeugte und kreative Arbeit zur Förderung der Gleichstellung von Frauen im Musikleben lebt weiter. Alle im Team tragen Heike in ihren Herzen und wir möchten ihrer Mutter Inge und Schwester Anskje unser tiefstes Mitgefühl aussprechen.

Als Botschafterin von Komponistinnen war Heike Matthiesen facettenreich unterwegs: Sicherlich war die Berufung als klassische Solo-Gitarristin das Herzstück – bei zahlreichen Konzerten im In- und Ausland sowie durch CD-Produktionen präsentierte sie die Ergebnisse ihrer intensiven Repertoirerecherche zu Werken von Frauen.

Viele Werke gab sie selbst in Auftrag, viele Kompositionen von historischen wie auch zeitgenössischen Komponistinnen spielte sie als erste ein. Selbst die Einschränkungen der Pandemiephase und ihrer Krankheit hielten sie nicht vom praktischen Musizieren ab, vielmehr produzierte sie die CDs Guitar Ladies (2016) und Guitar Divas (2023) und gab neuartige „1-zu-1-Konzerte“ direkt im Archiv Frau und Musik.

Eng vernetzt in Frankfurt am Main und weit darüber hinaus vertrat und präsentierte sie die Arbeit des Archivs bei Musikverbänden, Schulen und Hochschulen sowie auch gegenüber der Medienwelt. Sie pflegte Kontakte zu den Behörden und Kulturbeauftragten der Stadt Frankfurt und spielte eine zentrale Rolle dabei, das Archiv Frau und Musik nach den bedrohlichen Kürzungen im Jahr 2013 wieder auf solidere finanzielle Beine zu stellen. Die Sichtbarmachung und auch die internationale Vernetzung von Musikfrauen betrieb Heike Matthiesen besonders erfolgreich durch die Bespielung der sozialen Medien, eine Arena, in der sie begeistert und mit Weitblick in Aktion trat.

In einem Online-Beitrag vom August dieses Jahres schrieb Heike Matthiesen ein Dankeswort voller Liebe an ihre Familie und alle Freund*innen, die sie begleitet haben:

„… Musik war meine Seelentherapie und ich bin überwältigt von der Freude, auf der Bühne Musik zu teilen. Mein Musizieren hat sich verändert. Reine Liebe und Freude, völlige Freiheit.“

Der Nachklang von Heikes Musik, ihre strahlende Bühnenpräsenz und ihr Einsatz für das, woran sie mit großer Inbrunst geglaubt hat, verstummen nicht.

Mary Ellen Kitchens,
im Namen des gesamten Teams des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik/Archivs Frau und Musik

 

Erinnerungen von Prof. Dr. Vivienne Olive

Liebe Heike,

es tut mir so leid, dass Du diese schwierige Zeit durchmachen musstest. Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich Deine unermüdliche und tapfere Arbeit bewundert habe. Was für ein Privileg, mit Dir zusammenarbeiten zu dürfen!

Vielen Dank für alles. Ich denke an Dich. Alles Liebe von

Deiner Vivienne

Erinnerungen von Elisabeth Treydte

Heike

Unterschiedlicher könnten wir wohl kaum sein und trotzdem bezeichnest du uns immer als #dreamteam.
Ich habe mich in deiner Gegenwart vom Moment unseres Kennenlernens wohl gefühlt, gesehen, wertgeschätzt, gestärkt.
Du hast eine unglaubliche Kraft; ich kennen keinen Menschen, der so zäh ist wie du. 
Das Leben im Moment, die immer offene Tür, egal was ist. Deine Hingabe zur Musik und den Menschen um dich herum, dein kreatives Hirn, die unzähligen Witze, deine abenteuerlichen Geschichten, dein Blick auf die Absurditäten des Alltags.
Du weißt, wir haben noch eine Bloody Mary offen – ich erhebe mein Glas auf dich!

Erinnerungen von Bettina Weber

Heike

Wenn ich an Heike denke, würde ich spontan sagen, sie gehört zu den Menschen, die ich schon kannte, bevor ich ihr zum ersten Mal begegnet bin.

Ich erinnere mich an das einzige Mal, wo ich eine Jahreshauptversammlung des DTKV besucht habe und wo mich plötzlich jemand ansprach und sich offensichtlich sehr freute, mich zu sehen. Das war Heike! Ich hatte keine Ahnung, dass sie überhaupt von mir wusste, denn bis zu dem Zeitpunkt hatte ich nur mit ihrer Schwester Anskje zu tun gehabt, mit der sich meine beruflichen Wege immer wieder gekreuzt haben. Aber da standen wir nun und haben uns den ganzen Abend angeregt unterhalten, als wären wir seit langer Zeit eng verbunden.

Daraus ist nicht spontan ein ständiger Kontakt geworden, wir haben eher sporadisch über die sozialen Medien voneinander gehört. Bis zur Corona-Zeit, einer Zeit der Umstrukturierungen und Veränderungen für alle.

Für mich dennoch eine wichtige und gute Zeit, nicht zuletzt, weil sich in dieser Zeit mein Kontakt zu Heike  intensiviert hat.

Ich habe ihr, ganz abgesehen von der menschlichen Seite, unendlich viel zu verdanken: sei es der Hinweis auf die Möglichkeit der Arbeitsstipendien in der Corona-Zeit, sei es ein Kompositionsauftrag, den ich von ihr bekommen habe und die Uraufführung eines dieser Stücke, die ich live miterleben durfte, und vor allem auch die wunderbare Verbindung zum Archiv Frau und Musik, die durch ihre Vermittlung zustande kam.

Heike ist für mich einer der mutigsten und positivsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte, vor allem finde ich ihre Offenheit und die Art, wie sie mit Schwierigkeiten und Rückschlägen umgeht, wirklich bewundernswert.

Es macht mich persönlich sehr glücklich, dass wir gerade in diesem Jahr mehrere Ereignisse miteinander erleben durften, die für uns beide sehr wichtig waren: Heike und Inge besuchten im Februar die Uraufführung meiner Oper „Loslassen!“,  dafür durften meine Schwester und ich persönlich bei der Präsentation ihrer CD im Archiv dabei sein, und im Oktober waren wir gemeinsam beim Eröffnungskonzert der Reihe hellhörig@Hauptwache, bei dem das Frankfurter Opernhaus- und Museumsorchester Spenden für das Archiv Frau und Musik sammelte und bei dem Heike und ich als Vertreterinnen des Archivs von Rhein-Main-TV interviewt wurden

Wie auch immer Heikes Weg nun weiter geht, sie wird immer einer der Menschen sein, der mein Leben in vieler Hinsicht geprägt hat und mit dem ich darum auch immer verbunden bleiben werde.

Und dafür bin ich unendlich dankbar.

Erinnerungen von Daniela Weber

Wenn Heike bei mir im Archiv vorbeikam, dann ging für mich im wahrsten Sinne des Wortes „die Sonne auf“: Da sind pure Energie, reinste Lebensfreude, Kreativität, Flexibilität, Ideenreichtum, Visionen, Schöpferkraft, Genialität – für mich einfach eine absolut universal-begabte Power-Frau.

Heike war für mich eine gute Freundin, hatte stets ein offenes Ohr für alles. Ich bin unendlich dankbar für alle inspirierenden Momente, den intensiven produktiven Austausch über die ganzen Jahre sowie natürlich für die außergewöhnlich berührende Musik, die Heike als einzigartige Gitarristin und Künstlerin in Konzerten, auch auf CD-Produktionen, präsentierte.

Erinnerungen von Susanne Wosnitzka

Sie kennen bestimmt WhatsApp und damit verbunden die Kontaktliste, in der man sehen kann, dass jemand im Begriff ist zu schreiben. „Heike schreibt“ und dann folgt PunktPunktPunkt. „Heike schreibt“ wird so nie wieder geschehen. Heike und ich haben gerade in letzter Zeit noch viel geschrieben, seit klar wurde, dass sich das Ende ihres Lebens abzeichnet, in völlig surrealer Stimmung. Wenn sie keine Kraft mehr hatte zu schreiben, schickte sie eine Sprachnachricht – jetzt noch wertvoller denn je. Und doch haben wir darüber gesprochen bzw. geschrieben, was sie noch für (kleine) Pläne hatte, Ideen, schwärzeste Bildwitze über Tod und Leben („schick mir alles, was du findest!“) und was sie sich für sich und andere und vor allem für ihre kleine Familie wünschte: Dass es gut weitergehe, denn: „Ich bin eine Anstupserin“, fand Heike[1] so für sich. Bei diesem Begriff denkt man an diese Domino-Weltrekord-Challenges, für die – einmal angestupst – abertausende Dominosteine in wildesten Bild- und Baukreationen stundenlang umfallen und ihre Energie weitergeben. Menschen haben dank der Faszination, die sie mit ihren Konzerten und ihrer Musik auch mit Eigenkompositionen bewirken konnte, damit begonnen, das Gitarrenspiel zu lernen.

Heike hat sich immer besonders gefreut, wenn sie erfuhr, dass sie etwas bewirkte, und das tat sie eigentlich pausenlos und – als Wichtigstes daran – neidlos. Ich könnte hier an dieser Stelle nun Vieles schreiben zu ihrem musikalischen Werdegang, der ein paar Biegungen nahm, bevor sie vom Klavier zur Gitarre fand. Gitarrenkunde ist allerdings kaum mein Metier – zusammengefunden haben wir uns jedoch über die Komponistinnen, die im Archiv Frau und Musik in Frankfurt/Main in einer der reichhaltigsten musikalischen Schatzkammern überhaupt untergebracht sind. Das lag um die Ecke, Heike wohnte nur einen Katzensprung davon entfernt in einem ehemaligen Kaffeehaus, in dem Goethe immer gerne ausflugte und seinen heißen Kakao damals trank, und wo Heike so viele großartige Ideen hatte und Zeitloses schuf.

Sie wurde zunächst bei uns im Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik, der das Archiv trägt, Mitglied, schaute sich dann im Archiv um und entdeckte – wie einst Howard Carter als er erstmals das Grab Tutanchamuns blickte – „wunderbare Dinge“: Werke von Komponistinnen, die für Gitarre geschrieben hatten wie zum Beispiel Annette Degenhardt (1965–2022), von der sie in höchsten Tönen schwärmte. Vielfach haben wir in den Regalen Werke und Informationen von über 2000 Komponistinnen, aber sie „klingen“ nicht, verharren dort stumm und warten darauf, zur Aufführung gebracht zu werden. Heike hat diese gelagerten Informationen mit ihrem Fachwissen für uns quasi gangbar gemacht, sodass auch wir davon erzählen können.

Heike hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine große Followerzahl in den Social Media und eine große Fan-Schar, und unser Archiv war grade mal so in den Kinderschuhen im Online-Marketing. Heike zeigte uns Tipps und Tricks, teilte, pries an, kommunizierte, schuf einen Twitter-Kanal für uns – Twitter (jetzt „X“) war „ihr Ding“, darin war sie eine ungekrönte Kaiserin. Dank ihr wurde das auch „mein Ding“, und sie freute sich sehr, zu sehen, dass mir der Umgang mit diesem Social-Media-Kanal dann so leicht von der Hand ging. Vom Mitglied zum Vorstandsfrau des Arbeitskreises war dann nur noch ein kleiner Schritt. So wurde sie auch zu unserer Botschafterin und großartigen Vertreterin nach außen, hat unglaublich viele Abende und Nächte für unser Archiv und unsere Sache gearbeitet, um auch die Politik von unserer Arbeit für bessere Förderung zu überzeugen. Unser 40jähriges Jubiläum groß im Frankfurter Römer zu feiern, war ihre Idee. In Frankfurt und darüber hinaus war Heike das Gesicht unseres Archivs.

Und sie stupste weiter an: Dank ihrer absoluten Begeisterung haben wir ihre Mutter Inge als Expertin für Klaviermusik, die unsere fast endlosen Listen dieses Repertoires führt und prüft und – für leichtere Recherche und Auswahl – in Schwierigkeitsstufen einteilt: Mit ihrer Schwester Anskje unschlagbares Kleeblatt in der Frankfurter Kulturlandschaft. Heike war für jede noch so verrückte Idee offen – alles konnte ja erstmal von jeder Seite aus beäugt und dann sortiert und entschieden werden.

Sie war eine Präsenz: Wenn Sie einen Raum betrat, war da ein bisschen Magie. Dank ihres Anstupsens hatte ich in historischen Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts, mit denen ich mich beschäftige, auch ein Auge auf alles, was mit Gitarre zu tun hatte. Stets konnte ich sie bei mir unbekannten Namen fragen: „Kennst du den? Ja? Nein? Was ist das für ein besonderes Ding? Hast du davon schon gehört?“, und schob ihr Screenshot für Screenshot durch die Leitung. Wir hatten Pläne, daraus ein gemeinsames Buch zu machen. Wie sie mehrsprachig verhandeln konnte auf der Musikmesse, dort und auf unzähligen weiteren Bühnen alles gab, um Komponistinnen und ihre tolle Musik international bekannter zu machen. Wie sie – fast wie besessen – recherchierte, einer Spur hinterherjagte, nicht locker ließ, um mehrmehrmehr über „ihre“ Gitarrenkomponistinnen zu finden.

So flammend, dass wir heute zwei brillante CDs dazu in den Händen halten können, die Guitar Ladies und die Guitar Divas – ihr wohl bedeutendstes Geschenk für die Musikwelt mit teils nie gehörten Werken bester Musik. Sie entdeckte dadurch auch ihre eigene Geschichte als Gitarristin und dass sie an der aktuell brennenden Lunte einer ganzen Reihe an großartigen Vorgängerinnen stand. Ihr Vermächtnis ist ein lodernder Markstein in der Geschichte nicht nur der Gitarrenmusik, sondern des Kulturgeschehens überhaupt.

Mit Heike war es kein bloßes Arbeiten für eine Sache, sondern lebendige Begeisterung für etwas mit immenser Freude dabei. Ohne sie wäre das Archiv Frau und Musik mit seiner Internet-Präsenz nie so weit gekommen. Als Musikerin mit ihrer Reichweite ergänzte sie unser sonst eher geistiges Wirken im Archiv Frau und Musik um eine gelebte Praxis, die ihresgleichen suchte. Mit ihrer Art und mit ihrer Musik hat sie Tausende Menschen weltweit berührt – mit ihrer Energie schwingen auch wir weiter, gleichsam Dominosteinen, denn Energie geht nie verloren. Danke, liebe Heike, für alles.

Mascha Kaléko aus Sei klug und halte dich an Wunder, leicht abgewandelt:
“Das Fest ist aus. Der Gitarrenton verklungen, gesprochen ist das allerletzte Wort. Bald schweigt auch sie, die dieses Lied gesungen. Sing du es weiter, Kind, denn ich muss fort.”


[1] Vielfach wird ihr Geburtsjahr falsch angegeben mit 1969. Kurz vor ihrem Tod schickte mir Heike Matthiesen eine Fotografie ihres Personalausweises zu: Korrekt ist das Jahr 1964, bestätigt von Anskje und Inge Matthiesen. Mit Bitte Heikes um künftige Richtigstellungen.

Musik von und mit Heike Matthiesen:

Interviews mit Heike Matthiesen:

Webpräsenzen Heike Matthiesens:

4 Gedanken zu „Heike Matthiesen (1964–2023) | Nachruf“

  1. Guten Tag aus Schriesheim bei Heidelberg.
    Wo kann ich die CD „Guitar Ladies“ kaufen.
    Gibt’s nicht bei Amazon.
    Besten Dank,
    Hans-Jürgen Kemmler
    Edelsteinstrasse 41A
    69198 Schriesheim

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  2. ich war mit Heike seit über 10 Jahren eng befreundet, und es macht mich glücklich zu sehen, dass Ihr hier sie so gesehen habt, wie ich sie erlebt habe. Sie hatte diese Fähigkeit, Menschen in ihrer Umgebung zum Leuchten zu bringen, von der Bühne durch ihre Musik (die ebenso leuchtete) wie auch im Freundeskreis und offenbar bei der Arbeit im Archiv (beim Wort “Arbeit” habe ich kurz gezögert, denn ich weiß, dass das Archiv für sie immer eine Herzensangelegenheit war).

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