Graciela Paraskevaídis zum Geburtstag – 1. April 1940

Graciela Paraskevaidis © Archiv Frau und Musik
Graciela Paraskevaidis © Archiv Frau und Musik

Text: Christian Gregori

Am 1. April 1940 wurde in Buenos Aires/Argentinien die Komponistin Graciela Paraskevaídis geboren, eine “Pionierin einer neuen Art von Neuer Musik, die nicht mehr primär den ästhetischen Normen des alten Europas verpflichtet ist.”1 Einen Großteil ihres Lebens verbrachte sie in Montevideo/Uruguay, besuchte jedoch Europa und Deutschland und traf auf ihren Reisen Führer der europäischen Avantgarde wie Iannis Xenakis oder Luigi Nono. 2017 starb sie in Montevideo. Neben dem Komponieren schrieb sie viele Beiträge über Komponistinnen und die Rolle musikschaffender Frauen in Lateinamerika.

Am 20. September 1990 besuchte Graciela Paraskevaídis unser Archiv Frau und Musik – damals noch in Kassel – und hielt einen Vortrag über Komponistinnen in Lateinamerika. Für sie war die Emanzipation der Komponistinnen untrennbar mit der Emanzipation Lateinamerikas von der Kulturdominanz Europas verbunden, aus dessen Raum die Meisterwerke, Modelle und Theorien aufgedrängt wurden.

In ihrer Wahlheimat Uruguay ergriff 1973 das Militär die Macht und regierte für zwölf Jahre – eine Zeit, in der unbedachtes Reden über ein falsches Thema Folter und Tod bedeuten konnte. Für die Komponist*innen Uruguays war es nun nicht mehr möglich – und von vielen auch nicht gewollt – Musik im offiziellen Rahmen zu machen. Der politische Rückzug machte sich auch klanglich bemerkbar. In todavía no (1979) für drei Flöten und drei Klarinetten komponiert Paraskevaídis Zurückgezogenheit und Schweigen aus, das ganze Stück soll durchgehend im dreifachen Piano gespielt werden. Zum Stück schrieb sie im Vorwort der Partitur:

“Das Stück wurde in Bonn/BRD, im September 1979 […] in für Uruguay besonders dunklen Zeiten komponiert. Noch ist die Grausamkeit nicht zu Ende. Noch ist das Leiden nicht überwunden. Noch hört man nicht auf zu hoffen. Das Stück beschwört einen Klangraum voller Stile. Es bewegt sich kaum, sondern beharrt auf ganz wenigen Elementen. Schein-Stille und -Unbeweglichkeit sind äußerlich und als Ausdrucksgesten jener Grausamkeit, jenes Schmerzens, jener Hoffnung zu verstehen”:


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Ein Stilmittel, welches Graciela Paraskevaídis ihrer eigenen Musik, aber auch anderen lateinamerikanischen Komponistinnen zuschreibt, ist die ‚archaische Statik‘. Einfachheit der Materialien, eine Anti-Virtuosität und Klangräume, die sich verändern, aber nicht vorwärtsbewegen, kennzeichnen ihre Werke, so auch ihr Klavierstück Un lado, otro lado (1984). Dort stehen zwei Klangschichten in extremer Lage wie erfroren gegenüber, eine Annäherung wird nicht versucht, sie scheinen unversöhnbar. Mit seiner aggressiven Simplizität und einer beinahe magischen Aura erinnert es an eine Zeitgenossin Paraskevaídis, die auf der anderen Seite der Welt, ebenfalls in einer Diktatur lebend, hämmernd-mystische Klaviermusik geschrieben hat: Galina Ustwolskaja.


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Einzelnachweis und Quellen:

  • 1: Nyffeler, Max: Zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Die lateinamerikanische Komponistin Graciela Paraskevaídis, in: MusikTexte. Zeitschrift für Neue Musik 94 (2002), S. 19.
  • Áñez, Daniel: La música para piano de Graciela Paraskevaídis, in: Hanns-Werner Heister/Ulrike Mühlschlegel (Hrsg.): Sonidos y hombres libres. Música nueva de América Latina en los siglos XX y XXI: En honor a Coriún Aharonián y Graciela Paraskevaídis. Madrid–Frankfurt am Main 2014, S. 35–42.
  • Brand, Bettina: Graciela Paraskevaídis, in: Bettina Brand/Martina Helmig/Barbara Kaiser/Birgit Salomon/Adje Westerkamp (Hrsg.): Komponistinnen in Berlin,.Berlin 1987, S. 355–358.
  • Kees, Damián Rodríguez: Entrevista a Graciela Paraskevaídis, in: Revista del Instituto Superior de Música: Revista del Instituto Superior de Música de la Universidad Nacional de Litoral 17 (2020), S. 141–152.
  • Nyffeler, Max: Zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Die lateinamerikanische Komponistin Graciela Paraskevaídis, in: MusikTexte. Zeitschrift für Neue Musik 94 (2002), S. 19–24.
  • Paraskevaídis, Graciela: On Women and Composing in Latin America. An Approach, in: Frau Musica (nova). Komponieren heute, Sinzig 2000, S. 127–134.

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