Klavierwerke aus dem Archiv #5 – Vorgestellt von Uta Walther

Ein Klavierwerk aus dem Archiv – vorgestellt von Uta Walther

Baião von Andréa Huguenin Botelho

„Meine Kompositionen und Transkriptionen sind Klangskulpturen. Die Musik übersetzt meine Identität, was ich denke und glaube.“ (Andréa Huguenin Botelho)

Die Komponistin, Chor- und Orchesterdirigentin, Pianistin, Musikforscherin und Kuratorin Andréa Huguenin Botelho wurde 1973 in Rio de Janeiro/Brasilien geboren. Ihre Studien in den Fächern Klavier und Orchesterleitung absolvierte sie an der Georgia State University in Atlanta, postgradual an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe  sowie im Bereich Operndirigat am Mariinsky-Theater in St. Petersburg. Als Chor- und Orchesterleiterin sowie als Klavierpädagogin ist sie seit vielen Jahren in Berlin tätig und hat verschiedene Ensembles gegründet. In ihrer Forschungstätigkeit beschäftigt sie sich u.a. mit den diversen Traditionen Brasiliens, die auch die inidigenen sowie die durch die Sklaverei vom afrikanischen Kontinent gekommenen Sprachen, Kulturen, Religionen, Tänze, Lieder und Rhythmen beinhalten. Ein weiterer Schwerpunkt in Andréa Botelhos Arbeit ist das Thema Komponistinnen und Frauen in der Musik. In ihren Konzerten führt sie regelmäßig deren Werke auf, legt Repertoirelisten an und arrangiert Stücke für seltenere Besetzungen, wie z.B. Kontrabass und Klavier. Davon zeugen CD-Einspielungen und Konzertmitschnitte, hier sei sowohl auf ihre Website als auch auf ihren YouTube-Kanal http://www.youtube.com/@maestra.andreabotelho verwiesen. Botelho ist u.a. Mitglied im Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik sowie im Forum für vokale Vielfalt.

Das Werk von Andreá Huguenin Botelho umfasst Stücke für Klavier, Orchester, Chor und innovative Arrangements, die einen Dialog zwischen Tradition und Moderne führen.

Im Jahr 2024 komponierte sie Baião für Klavier zu zwei Händen, basierend auf einem 2023 entstandenen gleichnamigen Stück für Klavier zu vier Händen. Ich durfte das Werk zu zwei Händen am 22.02.2025 im Festsaal des Schlosses Britz in Berlin im Rahmen der von Botelho kuratierten Konzertreihe Komponistin! uraufführen. Der Begriff Baião bezeichnet einen brasilianischen Tanz mit einem charakteristischen, stark akzentuierten Rhythmus. Er stammt aus dem Nordosten des Landes, einer Gegend mit extrem lang anhaltender Hitze und Trockenheit. Das Leben in dieser Region ist mit großen Entbehrungen verbunden. Jedes Jahr sterben viele Tiere und die Vegetation verdörrt, bis endlich eine erlösende Regenphase auftritt, die die Pflanzen sprießen und das Leben im wahrsten Sinne des Wortes wieder erblühen lässt.

Botelhos Baião Tanz  lässt diesen Jahresablauf quasi wie einen Film in sehr starken Bildern und Farben vor dem inneren Auge entstehen: Eine kurze Lento-Introduktion mit der Spielanweisung Melancólico eröffnet das Werk in improvisatorisch-rhapsodischem Gestus, jedoch kündigt sich schon hier der typische Rhythmus an. Nach einer Spannungsfermate auf einem d-Moll-Akkord beginnt der eigentliche Tanz: Elektrisierend durch überlagerte Rhythmen und viele Akzente (etliche auf im klassischen Sinne unbetonten Zählzeiten), jedoch ohne Hektik; stetig vorwärts strebend, quicklebendig und lebensfroh, dennoch mit einer gewissen Entspanntheit und ohne Stress zu interpretieren. Dies ist für die Pianist:innen die Herausforderung, besonders dann, wenn man nicht häufig mit südamerikanischer Musik am Instrument beschäftigt ist. Der kontrastierende Adagio-Mittelteil soll sehr Legato klingen. Er ist wesentlich schlichter gesetzt und symbolisiert das Leiden und die Trauer der Menschen in der Dürrezeit. Zunächst  piano mit ruhig-schreitenden Achteln in der Begleitung und sanften Synkopen in der kantabel gearbeiteten Melodie beginnend, wird er im Verlauf dieses Teiles immer aufgelockerter und ausdrucksstärker. Es stellen sich Parallelen zur Introduktion ein, bevor wieder der ausgelassene Tanz die Freude über das Leben freilässt. Die Begleitung ist zunächst etwas diffiziler gestaltet, im Verlauf wird ein Teil vom Anfang genau wiederholt. Der Schluss ist als eine Art Stretta gearbeitet, ohne das Tempo zu ändern. Akzentuierte Quartrepetitionen und glissando-ähnliche Abwärtsläufe bringen zusätzlichen Drive und bereiten das finale Fortissimo-Aufwärts-Glissando und den abschließenden hohen a-Moll-Akkord mit dem Subkontra-A im Bass vor.  

Pianistisch anspruchsvoll und mit dem imitierten Kolorit der ursprünglichen Baião-Instrumente, aber ohne vordergründige Virtuosität, eignet sich das reichlich siebenminütige Werk hervorragend zum Studium südamerikanischer Rhythmen und Stilrichtungen am Klavier sowie zur interessanten und wirkungsvollen Erweiterung des Konzertrepertoires.

Die Noten des Stückes sind im Archiv Frau und Musik vorhanden. Für einen Höreindruck gibt es den Mitschnitt der Uraufführung:


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Publikumsreaktionen:

„Liebe Frau Walther,
ganz großen Dank, dass Sie mir mit diese Komponistin und dieses Stück vorgestellt haben. Eine wunderbare Musik, die durch ihre mitreißenden Rhythmen die brütende Hitze erträglich macht und aus der Lethargie reißt. – Ich freue mich schon auf Ihre nächste Vorstellung.
Herzliche Grüße
H. aus Frankfurt am Main“

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