#FundstückDesMonats | Oktober 2022

Johanna Kinkel © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Johanna Kinkel © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Text: Bettina Weber

In diesem Jahr stehen unsere Bestände zu Konzertereignissen im Vordergrund. Darunter befindet sich eine große Sammlung von Programmheften aus unterschiedlichen Jahrzehnten. Bei der Sichtung dieser Materialien stoßen wir immer wieder auf wahre Schätze, die wir hier präsentieren wollen.

Mit Johanna Kinkel stand eine äußerst faszinierende Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt eines Konzertes, das am 1. Oktober 1994 im Cercle Municipal in Luxemburg stattfand.

Johanna Kinkel wurde am 8. Juli 1810 als Johanna Mockel in Bonn geboren. Schon im Alter von 12 Jahren äußerte sie den Wunsch, die Musik zu ihrem Beruf zu machen, was in ihrem Elternhaus auf entschiedene Ablehnung stieß. Zwar hatte sie, wie in zu dieser Zeit in gutbürgerlichen Kreisen üblich, Unterricht in Klavier, Gesang und Malerei erhalten, dies jedoch nur „zur Zierde“ und keineswegs, um eine professionelle Laufbahn einzuschlagen. So war sie zunächst gezwungen, das Nähen und Kochen zu erlernen, was ihr nur wenig Freude bereitete.

Ihr Vater ermöglichte ihr dennoch, Klavierunterricht bei Beethovens Lehrer Franz Anton Ries zu nehmen. Sie begann selbst, Klavier- und Gesangsstunden zu geben und übernahm 1829 die Leitung des von Ries gegründeten Musikalischen Kränzchens, der sich größtenteils aus seinen Schülerinnen und Schülern zusammensetzte. Das Musikalische Kränzchen war somit einer der ersten von einer Frau geleiteten Musikvereine. Auch Johannas erste Komposition, die Vogel-Kantate op. 1 wurde durch dieses Ensemble uraufgeführt.

Nach einer kurzen und sehr unglücklichen Ehe mit dem Kölner Buch- und Musikalienhändler Johann Paul Mathieux und einer daraus resultierenden langwierigen physischen und psychischen Erkrankung zog Johanna 1836 nach Berlin. Dort stand sie in enger Verbindung mit Bettina von Arnim, bei der sie für fünf Monate wohnte und deren Töchter sie unterrichtete, und lernte Persönlichkeiten des kulturellen Lebens kennen, wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Clara Schumann, Adalbert Chamisso und Emanuel Geibel. Die Berliner Zeit war eine der fruchtbarsten in ihrem Leben als Komponistin. Sie schrieb zahlreiche Lieder, Duette und Kantaten, die unter dem Namen J. Mathieux veröffentlicht und u. a. von Ludwig Rellstab und Robert Schumann hoch gelobt wurden.

1839 kehrte sie nach Bonn zurück, wo sie endlich von Johann Paul Mathieux geschieden wurde. Sie begegnete Gottfried Kinkel, einen flüchtigen Bekannten aus ihrer Jugendzeit. Gemeinsam mit ihm gründete sie den spätromantischen Dichterkreis Maikäferbund, in dessen interner Zeitschrift sie als einzige Frau ebenfalls Texte veröffentlichte. Einen kleinen Eindruck ihres durchaus umfangreichen literarischen Schaffens mag die in Bonner Mundart verfasste Kindergeschichte Der Hund und das Eichhorn vermitteln, welche 1849 veröffentlicht wurde.

1843 heirateten Johanna und Gottfried Kinkel. Das Ehepaar engagierte sich zunehmend politisch. Kinkel wurde während der badisch/pfälzischen Revolution 1849 zu einer der Hauptfiguren, weshalb er als Abgeordneter seiner Partei nach Berlin berufen wurde. In der Zeit seiner Abwesenheit übernahm Johanna die Redaktion der von ihm geführten Neuen Bonner Zeitung.
Kinkel wurde aufgrund seiner politischen Aktionen verhaftet. Ihm drohte wegen „Landesverrats“ lebenslange Festungshaft. Mit Hilfe von Carl Schurz gelang ihm 1950 die Flucht aus dem Gefängnis in Spandau. Er flüchtete zunächst nach Edinburgh, dann nach London, wohin Johanna ihm 1851 mit den vier gemeinsamen Kindern folgte.

Auch im englischen Exil verfolgte Kinkel weiter seine politischen Ideale, verbrachte in diesem Zusammenhang mehrere Monate in den USA. Die Versorgung der Familie lag weitgehend in den Händen Johannas, die den Unterhalt wiederum durch Klavier- und Gesangsunterricht, unter anderem mit einer von ihr gegründeten Singschule für Kinder, verdiente. Zum Komponieren kam sie, aus Zeitmangel, nur wenig.

Zunehmend litt Johanna Kinkel unter gesundheitlichen und wohl auch psychischen Problemen.  Am 15. November 1858 starb sie an den Folgen eines Sturzes aus ihrem Schlafzimmerfenster im 3. Stock ihrer Londoner Wohnung. Bis heute ist ungeklärt ob es sich hierbei um einen Unfall handelte – oder ob Johanna Kinkel den Freitod wählte. Auf ihrem Grabstein auf dem Friedhof in Woking steht eingemeißelt: „Freiheit, Liebe und Dichtung“. Ob dieses Grab der Komponistin Ethel Smyth bekannt war? Letztere lebte dort viele Jahre.

Konzertprogramm zu Johanna Kinkel © Archiv Frau und Musik
Konzertprogramm zu Johanna Kinkel © Archiv Frau und Musik

 

Eine Aufnahme des Liedes Loreley mit der Sängerin Tuula Nienstedt und dem Pianisten Uwe Wegner können Sie sich hier anhören:


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