#FundstückDesMonats | November 2022

Text: Bettina Weber

In diesem Jahr stehen unsere Bestände zu Konzertereignissen im Vordergrund. Darunter befindet sich eine große Sammlung von Programmheften aus unterschiedlichen Jahrzehnten. Bei der Sichtung dieser Materialien stoßen wir immer wieder auf wahre Schätze, die wir hier präsentieren wollen. Unter dem Titel Opern von Frauen präsentierte das Internationale Opern Archiv in Wien vom 19. Oktober bis 30. November 1984 ein außergewöhnliches Programm, bei welchem an drei Abenden vier Opern von vier Komponistinnen zur Aufführung kamen.

Programm "Opern von Frauen" © Archiv Frau und Musik
Programm “Opern von Frauen” © Archiv Frau und Musik

Das Internationale Opern-Archiv (IOA) wurde 1968 gegründet. Es ging zurück auf eine umfangreiche Sammlung von Premierendaten und Komponistenbiographien, die der Journalist und Musikwissenschaftler Clemens M. Gruber bereits als Schüler anzulegen begonnen hatte. Wertvolle Details zur internationalen Opernforschung, die Herausgabe eines Opernverzeichnisses  und eines Opernuraufführungsverzeichnisses gehörten ebenso zu den Anliegen des Internationalen Opern-Archivs, wie die Veranstaltung von Ausstellungen, Vorträgen und Konzerten.

Eröffnet wurde die Reihe mit der ältesten von einer Frau komponierten Oper: La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina von Francesca Caccini. Die 1587 in Florenz geborene Francesca Caccini stammte aus einer Musikerfamilie: Ihr Vater Giulio Caccini war ein bedeutender Komponist, Gesangslehrer und Instrumentalist und gehörte der Camerata Florentina an, welche die entscheidenden Schritte zur Entstehung der Kunstform Oper für sich geltend machen konnte. Auch Francescas Mutter und ihre beiden Geschwister sangen und musizierten, so dass sie häufig als Familienensemble auftraten.

Francesca machte sich schon früh einen Namen als Sängerin. Bereits im Alter von 13 Jahren trat sie erstmals in einer Aufführung der Oper Euridice ihres Vaters auf. Erste Hinweise auf ihre Tätigkeit als Komponistin stammen aus dem Jahr 1606. Zu diesem Zeitpunkt soll sie bereits drei Bände mit rund 300 Gesangsstücken verfasst haben. Ihr erstes Bühnenwerk La Stiava wurde 1607 uraufgeführt.

Von ihren zahlreichen Kompositionen gelten die meisten heute als verschollen. Erhalten geblieben ist, abgesehen von einer Sammlung mit Gesangswerken, ihre Ballettoper La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina, die schon zur Zeit ihrer Entstehung eine Sonderstellung einnahm: Handelte es sich doch um ein Auftragswerk der toskanischen Großherzogin Maria Magdalena von Österreich, anlässlich des Besuches im Jahre 1625 von Kronprinz Wladyslav Sigismund von Polen. Dieser war von der Aufführung so begeistert, dass er Francesca Caccini nicht nur den Auftrag für eine weitere Opernkomposition erteilte, sondern La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina ins Polnische übersetzen und 1628 in Polen aufführen ließ – vermutlich überhaupt die erste Aufführung einer italienischen Oper im Ausland.

Auszüge aus Francesca Caccinis La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina sind hier zu finden:


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Die 1858 geborene Engländerin Ethel Smyth kam über eine der deutschen Gouvernanten, die sie und ihre fünf Schwestern betreuten, mit dem Klavierspiel und der Musik Beethovens, Schuberts und Schumanns in Berührung. Diese hatte am Leipziger Konservatorium ein Klavierstudium absolviert. Ethel setzte daraufhin mit der ihr eigenen Willensstärke, die von ihrer Umgebung oft als Rebellion empfunden wurde, gegen den vehementen Widerstand ihrer Eltern durch, ebenfalls am Leipziger Konservatorium Musik studieren zu dürfen. Hierbei spezialisierte sie sich von Anfang an auf Komposition, was in der damaligen Zeit einen Einbruch in eine ausgesprochene Männerdomäne bedeutete.

So hatte Ethel immer wieder gegen Benachteiligungen und Vorurteile zu kämpfen. Beispielsweise musste sie erleben, dass Johannes Brahms, welcher sich interessiert und ernsthaft mit einer ihrer Fugen auseinandersetzte, unsachlich, ja beleidigend wurde, als er feststellte, dass er sich mit der Arbeit einer Frau beschäftigte!

Ihren ersten Erfolg als Komponistin erlebte Ethel Smyth mit der Aufführung ihrer Mass in D, im Jahr 1893 in der Royal Albert Hall. Trotzdem stieß sie bei der Verbreitung ihrer Bühnenwerke immer wieder auf Schwierigkeiten. Da es in Großbritannien nur ein einziges professionell arbeitendes Opernhaus gab, versuchte sie, ihre Werke an deutschen Bühnen unterzubringen, was für sie ständige Reisen und – sicher nicht immer erfreuliche – Gespräche mit den Verantwortlichen bedeutete. Die ersten Aufführungen ihrer Opern Fantasio und Der Wald brachten weder in Deutschland, noch in England den erwünschten Durchbruch. Erst eine Aufführung von Der Wald an der Metropolitain Opera in New York im Jahre 1903 wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. Bis zur Aufführung von Kaija Saariahos L’amour de loin im Jahr 2016 war Der Wald die einzige von einer Komponistin produzierte Opernaufführung an der Met!

Ihre Oper The Wreckers, auf Deutsch Strandrecht, wurde von dem Dirigenten Bruno Walter hoch gelobt. Dieser dirigierte das Werk 1910 in London. Bis heute gehört The Wreckers zu den bekanntesten Werken der Komponistin, wenngleich das bis heute populärste Stück aus ihrer Feder zweifellos das für die englische Frauenbewegung entstandene Kampflied The March oft he Women ist.

Auszüge aus The Wreckers von Ethel Smyth können Sie sich hier ansehen:


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Das Leben der 1821 in Paris geborene Pauline Viardot-Garcia zeigt durchaus Parallelen zu ihrer beinahe 235 Jahre früher geborenen Kollegin Francesca Caccini.
Auch sie wuchs in einer Musiker-Familie auf. Ihr Vater war der berühmte Tenor, Gesangspädagoge und Komponist Manuel Garcia, die Mutter die spanische Schauspielerin und Sängerin Joaquina Brionés, ihre Schwester die große Opernsängerin Maria Malibran und ihr Bruder der Bariton Manuel Patricio Rodriguez Garcia. Pauline erhielt zunächst Klavier-, möglicherweise auch Kompositionsunterricht. Erst nach dem frühen und unerwarteten Tod ihrer Schwester wurde auch sie zur Sängerin ausgebildet und schnell europaweit als charismatische Mezzosopranistin gefeiert.

Leider endete ihre vielversprechende Karriere bereits 1863, als sie im Alter von nur 42 Jahren ihre Stimme verlor und von da an nur noch gelegentlich, vorwiegend in privatem Raum auftrat. Ihr Schwerpunkt verlagerte sich von da an auf das Unterrichten und das Komponieren. Sie schrieb zahlreiche Lieder, kammermusikalische Werke und Klavierwerke, außerdem mehrere Operetten – wie die in unserem Programm aufgeführte Oper Cendrillon.

Auszüge aus Pauline Viardots Oper Cendrillon finden Sie hier:


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Neben den vergleichsweise „großen“ Namen einer Francesca Caccini, Pauline Viardot und Ethel Smyth, taucht in dem Programm noch die Komponistin M. Jung mit ihrer Oper Der Ebersdorffer auf. Das Internet schweigt sich über diese Komponistin weitgehend aus. Neben den Eckdaten über Margarete Jung – geboren 1906 in Schrems, gestorben 1986 in Wien – fand sich lediglich ein Hinweis in einer Auflistung von Opernkomponistinnen, dass ihre Oper Der Ebersdorffer bislang nicht aufgeführt sei. Somit konnte das IOA – möglicherweise durch die Veranstaltung am 14. November 1984 – seinem Verzeichnis von Opernuraufführungen ein weiteres Werk hinzufügen.