Rückschau BDLO-Akademie im AFM | 2./3. September 2022

Komponistinnen im Fokus!

Über Monate standen das Team des Bundesverbands der Amateurorchester (BDLO) und das Team des Archiv Frau und Musik (Frankfurt/Main, AFM) in engem Austausch: Die beiden Institutionen organisierten die BDLO-Akademie 2022 im Vorfeld komplett online – und es wuchs zusammen, was zusammengehört! Anregungen zum Leitthema der Veranstaltung kamen von Katharina Müsse (BDLO) sowie von Mary Ellen Kitchens (AFM Vorstandsfrau und Musikalische Leitung vom Frauenorchesterprojekt, Orchesterverein Kempten und Rainbow Sound Orchestra Munich).

Grafik der Studie © Archiv Frau und Musik
Grafik der Studie © Archiv Frau und Musik

Ziel der diesjährigen BDLO-Akademie war, gemeinsam etwas Neues zu lernen, und zwar, wo man Musik von Komponistinnen recherchieren und finden kann. Denn man hört ihre Werke noch immer viel zu selten, auch bei den rund 130 professionellen deutschen Orchestern:

Laut einer Studie von AFM und musica femina münchen (2020/2021) haben Werke von Frauen in der Orchestersaison 2019/2020 einen Anteil an den Konzertprogrammen von unter 2 %. Das wollen wir gemeinsam ändern! Geplant ist es unter anderem, einschlägige Informationen aus der Komponistinnen-Datenbank des AFM in die des BDLO einfließen zu lassen, sodass die rund 880 Mitgliedsorchester (und rund darin rund 34.000 Musizierende) auch direkt über die BDLO-Notendatenbank auf dieses reichliche Material zugreifen können.

Zum Start gab es ein herzliches Willkommen in den Räumen des Archivs Frau und Musik in den hoffmanns höfen am Niederrader Main-Ufer. Nach Corona-Tests begrüßten Dr. Kiyomi von Frankenberg (BDLO) und Mary Ellen Kitchens (AFM) über 30 Teilnehmende aus ganz Deutschland. Im Anschluss berichteten Letizia Turini (BDLO) und Mary Ellen Kitchens (AFM) zur angedachten künftigen Kooperation und zu heute bereits bestehenden Recherchemöglichkeiten in Datenbanken. In einer Führung durchs Archiv mit Mary Ellen Kitchens und Susanne Wosnitzka (AFM) wurden Augen zum Glänzen gebracht durch originale Briefe von Clara Schumann, Postkarten von Damenblasorchestern und ein Faksimile von Hildegard von Bingens Riesencodex.

Damit war der Tag aber noch nicht zu Ende: In der Aula ging es mit einem von Mary Ellen Kitchens zusammengestellten Musikprogramm zum Mitspielen weiter. Es wurde aus Werken für kleinere Besetzungen der Komponistinnen Maria Grimani, Vivienne Olive, Agnes Ponizil, Mary Watkins, Eva Schorr, Fanny Gordon und Francisca Gonzaga (arrangiert von Andréa Botelho) musiziert. Die Gruppe wurde bei den Werken jeweils von einer anderen der anwesenden Dirigentinnen bzw. Komponistinnen angeleitet, zum Beispiel von der Komponistin Agnes Ponizil, die mit dem Prototyp eines selbstentwickelten interaktiv-musikalischen Kartenspiels für große Erheiterung sorgte. Unter Leitung der Komponistin Vivienne Olive (Mitglied des erweiterten Vorstands des AFM), die ihre eigene Setzung des Lieds Annie Laurie (aus ihrem Four Scottish Women für Streichorchester, bei Furore Verlag erhältlich) dirigierte, wurden auch volksmusikalische Klänge erfahrbar. Gleich vier Dirigentinnen am Klavier sieht man selten: Anhand von Partituren wurden Werke für Orchester ausgetestet – schwungvolle Tangos und südamerikanische Rhythmen mit Andréa Botelho, Chrysanthie Emmanouilidou, Eva Meitner und Mary Ellen Kitchens bis in den späten Abend.

Komponistinnen-Quiz © Susanne Wosnitzka
Komponistinnen-Quiz © Susanne Wosnitzka

Der Samstag war angefüllt mit Präsentationen und Workshops: Zuerst präsentierten Jelena Rothermel und Susanne Wosnitzka (beide AFM) ein Quiz zu Komponistinnen zum Mitraten, um dann in eine kurzweilige Zeitreise zur Geschichte von FLINTA*-Komponistinnen[1] einzutauchen, deren Werke für Amateurorchester attraktiv sind – von der klassischen Sinfonie bis zu Videospielmusik.

Im Anschluss bot Mary Ellen Kitchens ein reichhaltiges Paket über Aktivitäten und den Einsatz des Archivs Frau und Musik und von anderen Forschungseinrichtungen weltweit, um weiterführend aufzuzeigen, welche Institute, Webseiten und Frauenorchester es gibt, die sich für Komponistinnen einsetzen wie zum Beispiel Présences compositrices (Toulouse), Heroines of Sound (Berlin), die Women’s Philharmonic Advocacy (New York), Donne – Women in Music (London), die Boulanger Initiative (Washington DC) oder die International Alliance for Women in Music.

Eva Meitner (u. a. Musikalische Leitung des Sinfonisches Orchester Hoyerswerda/Freies Orchester Leipzig) bot in ihrem Vortrag eine lange Liste, ja, einen unglaublich großen und farbenprächtigen Reigen an Werken von Chor- und Orchesterkomponistinnen, die sich für Laienorchester und -chor eignen und die ihren Erfahrungen nach stets Begeisterung auslösten.

Dr. Karin Dietrich, Leitung des Instituts für zeitgenössische Musik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main, stellte anschaulich und in fragend-ruhigem Austausch mit den Teilnehmenden dar, wie Werke von zeitgenössischen KomponistInnen für Veranstaltende zu finanzieren sind: Wie vergibt man Auftragswerke und wie kommt man an Ideen für die Organisation von Residencies für Komponistinnen – und wie kann man neues und mehr Publikum ansprechen und gewinnen?

Abschließend erzählten drei Komponistinnen aus ihrem Schaffensalltag: Dr. Vivienne Olive als Mitbegründerin des Archivs Frau und Musik aus den teils harten Anfangszeiten einer feministischen Bewegung der 1970er Jahre heraus, Sibylle Pomorin von ihrem Schaffen u. a. in elektronischen Musikwelten und Agnes Ponizil auch aus ihrem persönlichen Hintergrund, in der ehemaligen DDR aufgewachsen zu sein. Letztere überreichte dem Archiv Frau und Musik ein wunderbares Geschenk, nämlich eine Arbeits(!)partitur ihrer Europer, einer Oper zum Thema Europa, und Aufnahmen dazu. Diese wird künftig im Online-Katalog des Archiv Frau und Musik auffindbar sein.

„Die Offenheit von so Vielen, zu unterstützen und zu beraten! Danke!“„Vernetzung! Wir sind in einem guten Aufbruch!“„…sooo viele Ideen, Anregungen, neue Kontakte! Toll!“„Die Vielfalt der Kompetenzen der Teilnehmer*innen!“„Meine wiederbelebte Empörung und einen neuen Schub, Musik von Frauen in die Orchester und Schule zu bringen!“

Und ein Danke: „Die Professionalität einer Bundesfreiwilligen und einer Praktikantin. Ihr seid spitze!“

Das waren die begeisterten Rückmeldungen der Teilnehmenden an der BDLO-Akademie 2022 im Archiv Frau und Musik in Frankfurt am Main. Die Bundesfreiwillige – Katharina Müsse (BDLO) – hatte zur großen Freude und Überraschung selbstgebackene Komponistinnen-Kekse mitgebracht. Und die AFM-Praktikantin – Lea Schäfer-Fuß – war eine immense Hilfe bei Begrüßung, Corona-Testung und Unterstützung im Hintergrund. Ein großes Danke auch an Daniela Weber (AFM) für die Vorbereitungen und Vermittlungen im Büro.

Schauen wir nun vorwärts auf eine verstärkte und gute Zusammenarbeit, um das großartige Schaffen von Komponistinnen weiter zu streuen und im Bewusstsein zu verankern.

Und last but not least: Soeben erfuhren wir, dass die Förderung für das angedachte Projekt – die Kooperation zwischen dem BDLO und dem Archiv Frau und Musik zum Austausch von Daten zwischen den beiden Datenbanken und zur Optimierung der Recherchefunktionen–  bewilligt wurde. Dafür bedanken wir uns sehr herzlich bei der Mariann Steegmann Foundation!

Abschlussbild © Archiv Frau und Musik
Abschlussbild © Archiv Frau und Musik

[1] Frauen, Lesben, Intersexuelle, Non-Binäre, Transgender, Agender.