AUS DER VERSENKUNG – VOM SCHWEIGEN BEFREIT

#ClosedButOpen #BehindTheScene #ArchivFrauUndMusikVirtuell

Erste Seite emma-Artikel Vergessene Komponistinnen © Archiv Frau und Musik
Erste Seite emma-Artikel Vergessene Komponistinnen © Archiv Frau und Musik

Jeden ersten Freitag im Monat wollen wir künftig einen Einblick in unsere Archivschätze und unsere Arbeit geben: Vergessenes, Kurioses, Schlummerndes. Begebenheiten, Erinnerungen und Werke, die nur darauf warten, in weitere Forschung eingebunden zu werden. Den Monat Mai widmen wir der Geschichte unseres Archivs.

 

1977 erschien in der Zeitschrift emma ein Artikel der Kölner Dirigentin Elke Mascha Blankenburg (1943–2013). Unter dem Titel Vergessene Komponistinnen stellte sie die Frage nach dem Verbleib musikschaffender Frauen der vergangenen Jahrhunderte und rief Musikerinnen, Komponistinnen und Musikwissenschaftlerinnen auf, sich ihrem Vorhaben, die weibliche Seite der Musikgeschichte zu entdecken, anzuschließen. Es folgten kurz darauf erste Treffen. Die Frauen diskutierten und tauschten sich aus, suchten in Bibliotheken und Archiven nach der noch unbekannten Musik von Komponistinnen und führten diese auf.

So gründete sich 1979 der Internationale Arbeitskreis Frau und Musik e. V. (IAK), der damit begann, gezielt nach Werken von Frauen zu suchen und diese auch aufzuführen, zum Beispiel im Festival Vom Schweigen befreit.[1]

Eine der Frauen, die diesen Artikel mit Begeisterung gelesen haben, war die Komponistin Barbara Heller, die daraufhin Folgendes an Elke Mascha Blankenburg verfasste:

Briefwechsel Heller-Blankenburg (Auszug) © Archiv Frau und Musik
Briefwechsel Heller-Blankenburg (Auszug) © Archiv Frau und Musik

„Verehrte Frau Blankenburg,
Ihr Bericht im November 77 in der Frauenzeitschrift Emma hat mir so gut gefallen, daß ich Ihnen schreibe, und zwar in Bezug mit Ihrem Arbeitskreis. Ich suche Kontakte einerseits und hatte im Herbst eine ähnliche Idee wie Sie, allerdings nur im Bereich der Klaviermusik. […] Ich bin 1936 geboren[,] habe Studium als Klavierspielerin und Komponistin (Hans Vogt[,] Harald Genzmer) lange Zeit hinter mir und war ca. 10 Jahre total passiv als Ehefrau und Mutter. [S. 2] Jetzt suche ich erneut Anschluß an das Musikleben und möchte im Rahmen der Emanzipationsbewegung mich selbst weiter aktivieren und anderen Frauen durch [S]pielen ihrer Klavierwerke Freude machen. Können Sie mir bitte in Form irgendeiner Form mitteilen, ob ich durch Ihren Arbeitskreis unbekannte Klaviernoten bekommen kann oder hat eventuell schon eine andere Frau so etwas gemacht? Ich stelle mir das ziemlich systematisch vor mit Biografie und vielleicht auch Ausgabe: „Klavierwerke von Frauen“[,] da ich Beziehungen zu Verlagen habe. Über eine Nachricht von Ihnen würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichem Gruß
Barbara Heller“[2]

Der Rest ist Legende: Es gibt jetzt eine Liste mit Klavierwerken, die über die Jahrzehnte im Archiv Frau und Musik zusammengetragen wurden, Barbara Heller wurde aktives Mitglied des IAK, und berichtet heute noch mit glänzenden Augen im Interview von den ersten Jahren der Frauenmusikbewegung.[3]

1983 erschien die erste VivaVoce, das Magazin des Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik, das damals schlicht Info (frau und musik) hieß und von Susanne Geiger sowie Eva Rieger in gemeinsamer Redaktion erstellt wurde. Einen Blick in die erste Ausgabe finden Sie ebenfalls im META-Katalog des Digitalen Deutschen Frauenarchivs (DDF). Anlässlich des 40jährigen Archivjubiläums 2019 ließ das Archiv die Gründerinnen und Frauen der ersten Stunde des Trägervereins IAK in Videointerviews zu Wort kommen, darunter Gloria Coates, Barbara Heller, Annette Schlünz, Birgit Kiupel, Siegrid Ernst, Renate Matthei und Eva Rieger.[4]

Seit Langem beschäftigt sich auch die musikwissenschaftliche Forschung mit Komponistinnen, Dirigentinnen und Musikerinnen. Darunter MUGI – Musik und Gender im Internet und das Sofie Drinker Institut; außerdem gibt es eigene Verlage für Werke von Komponistinnen (Furore, Certosa, Hildegard Publishing etc.) – ein großartiger Kosmos, der ineinander greift seit nun über 40 Jahren und aus dem reichhaltig geschöpft werden kann.

******************
Einzelnachweise und weitere Infos:

[1] Blankenburg führte zum Beispiel 1980 im Rahmen des Festivals Frau und Musik Francesca Caccinis (1587–1640) Oper La liberazione di Ruggiero dall‘isola d’Alcina (Druck Florenz 1625) zum ersten Mal seit den letzten bekannten historischen Aufführungen wieder auf, und auch Fanny Hensels (1805–1847) Werk Oratorium nach Bildern der Bibel (1831, darin auch die Cholera-Kantate) seine Ur(!)aufführung. Vom Schweigen befreit war eine Festival- und Konzerteihe von Christel Nies. Originalplakate dazu finden Sie im Archiv Frau und Musik.

[2] Handgeschriebener Brief von Barbara Heller an Elke Mascha Blankenburg, 10. Januar 1978: https://www.meta-katalog.eu/Record/24619fraumusik (Stand: 07.05.2020).

[3] Klavierrepertoire-Listen, begutachtet und nach Schwierigkeitsgraden eingeteilt in aufwändigster Horch- und Spielarbeit, getätigt von Pianistin Inge Matthiesen. Diese als auch zu weiteren Instrumentensparten finden Sie unter diesem Link: https://www.archiv-frau-musik.de/repertoire-listen (Stand: 07.05.2020).

[4] Alle Interviews finden Sie auf unserer Website unter diesem Link: https://www.archiv-frau-musik.de/mascha (Stand: 07.05.2020).