Klavierwerke aus dem Archiv #4 – Vorgestellt von Uta Walther

Diana Čemerytė: Still

Enthalten ist diese Komposition in: 25 PLUS PIANO SOLO. 25 Jahre Frau und Musik. Jubiläumsausgabe, herausgegeben und editiert vom Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik e. V.,  Furore-Verlag Kassel fue 4660 (2004), S. 79-84 (zudem erschien sie kürzlich auch als von der Komponistin hinsichtlich Tempo, Artikulation und Dynamik überarbeitete Einzelausgabe bei Furore). Alle Werke wurden auf CD eingespielt: 25 PLUS-PIANO SOLO. 25 Jahre Frau und Musik. Klaviermusik aus aller Welt, Salto Records International  SAL 7015, 2005. Čemerytės Still wird hier von Ingo Stadtmüller interpretiert.

Sowohl die Notenausgabe als auch die CD sind im Bestand des Archivs Frau und Musik in Frankfurt/Main.

Die 1974 in Litauen geborene und seit vielen Jahren in der Nähe von Frankfurt lebende Komponistin Diana Čemerytė [Link funktioniert!] berichtet in der Notenausgabe über ihr knapp siebeneineinhalb Minuten dauerndes Stück: „Ein Gedanke hat mich bei der Komposition Still geleitet: Der Versuch[,] die musikalische Sprache so zu reduzieren, dass sich nur die Pausen und einzelnen Noten als die wichtigsten Komponenten ergeben. Die Bewunderung von Stille als die schönste Musik überhaupt – das ist die Basis dieser Komposition.“[1]

Den Interpret*innen des Werkes gelingt relativ leicht das Spiel mit Raumakustik, Klang, Nachhall und Echo, in der inneren Vorstellung quasi auch mit Licht, dessen Brechungen und Schatten. Das Publikum lässt sich bei diesem Stück wundervoll mitnehmen auf eine „meditative Reise“, die „verzaubernd“ oder auch „klärend“ wirken kann.

Das musikalische Erzeugen der Stille geschieht durch einzelne ruhige Töne, Tonverbindungen und kurze Motive, die weitestgehend das ganze Stück im durchgehaltenen rechten Pedal klingen und somit verschmelzen, ohne jedoch an Deutlichkeit und Klarheit zu verlieren. Das Pedal wird im Verlauf des Stückes insgesamt nur drei Mal gewechselt. Meist wird die obere Hälfte der Klaviatur benutzt, bis auf wenige Ausnahmen ist das Werk im Violinschlüssel notiert.  Die Spielanweisung lautet „sehr ruhig, in jeden Klang hineinhorchend“. Still beginnt im ppp in den Oktavbereichen ‘‘‘ und ‘‘‘‘  mit den Einzeltönen c und cis. Dies ist quasi die Keimzelle des ganzen Stückes. Allmählich und vorsichtig tastend erweitert sich der Tonbereich.

Die Dynamik des ppp korrespondiert bald mit kurzen p-Motiven, manchmal findet ein behutsamer Aufbau durch crescendi statt. In der Mitte des Stückes verdichtet sich das Tonmaterial immer stärker, teilweise auch mit sanften rhythmischen Verschiebungen und Varianten. Ein weiterer musikalischer Aufbau bringt mezzoforte- und forte-Akkorde, die akzentuiert oder sforzato zu spielen sind. Einen Takt lang gibt es die Spielanweisung marcato. Diese und die folgende Episode ist sehr kontrastreich und immer wieder durchwoben mit ppp-Tönen, -Motiven und -„Achtelflächen“.

Die ursprüngliche Themenzelle erscheint auch während ihrer Verarbeitung immer gut durchhörbar und transparent. Allmählich wird das Tonmaterial und die Lautstärke wieder reduziert, eine Art Schweben der beiden zentralen Töne c und cis „steht“ im Raum. Der Bogen zum Beginn schließt sich damit, dynamisch nun zurückgenommen bis ins pppp.

Die Herausforderung beim Spiel von Diana Čemerytės Still besteht darin, den musikalischen Spannungsbogen aufzubauen und zu halten. Für den Interpretierenden ist das eine interessante Eigen-Erfahrung, bei mir selbst geht dies im Übprozess und bei der Aufführung mit dem totalen „Vergessen von Raum und Zeit“ einher. Professionelle Pianist*innen werden das Werk als atmosphärischen Ruhepunkt in u. a. rein zeitgenössischen oder in kombinierten traditionell-zeitgenössischen Programmen mit thematischen Bezugspunkten schätzen. Still birgt aber auch für den Unterricht mit fortgeschrittenen Schüler*innen und Studierenden sowie für Hobbypianist*innen ein spannendes Experimentierfeld, da es die Klangvorstellung und -realisierung sowie den differenzierten Gebrauch des linken Pedals fördert.

Zum Abschluss noch einmal ein Zitat über die Komponistin, welches auch für Still uneingeschränkt zutrifft: „Diana Čemerytės Musik kommt aus der Stille. Pausen und leise Klänge sind ihr wichtig. Sie meidet das Auftrumpfende und Laute. Zartheit, Archaik und ein Gespür für kantabile Melodielinien sind ihr eigen. Alte Musik ist ihr Vorbild und Inspiration zugleich. Neues ist technisch sehr gut durchdacht, aber niemals erzwungen. Natürlichkeit und Transparenz prägen ihre Musik. Der Atem spielt eine große Rolle. Ihre litauischen Wurzeln sind im Hintergrund immer zu erahnen, ohne vordergründig im Mittelpunkt zu stehen. Aus alldem bildet sie eine ganz eigene Stimme im Klangkosmos unserer Zeit.“[2]

[1] 25 PLUS PIANO SOLO. 25 Jahre Frau und Musik. Jubiläumsausgabe. Internationaler Arbeitskreis Frau und Musik e. V. (Hg./Ed.), Furore-Verlag Kassel, fue 4660, S. 12.

[2] Christian Münch-Cordellier: Booklet zur CD Mondgesänge für Blockflöte und Akkordeon, Label Genuin, 2019.

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