Klavierwerke aus dem Archiv #3 – Vorgestellt von Uta Walther

Marie Jaëll © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Marie Jaëll © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Marie Jaëll: Contraste, Nr. 5 aus den 6 Esquisses romantiques pour Piano

Die Noten dieses Werkes von ca. vier Minuten Aufführungsdauer befinden sich als alte Einzelausgabe des Verlages A. O. Kelly im Bestand des Archivs Frau und Musik, ebenso auch die CD Marie Jaëll – Oeuvres pour Piano mit dem Pianisten Alexandre Sorel, auf der neben weiteren Stücken der Komponistin der gesamte Zyklus zu hören ist.

Die französische Pianistin, Komponistin und Pädagogin Marie Jaëll, geborene Trautmann, lebte von 1846 bis 1925. Sie war Klavierschülerin von Ignaz Moscheles und Heinrich Herz und konzertierte bereits als Kind. Später heiratete sie den Pianisten und Chopin-Schüler Alfred Jaëll, mit dem sie in ganz Europa auftrat und über dessen Verbindungen sie mit Franz Liszt sowie mit Johannes Brahms und Anton Rubinstein bekannt wurde. Nach dem Tod ihres Mannes studierte sie bei Liszt sowie bei César Franck und Camille Saint-Saëns, der sie in die Gesellschaft der Musikkomponisten einführte. Als Pianistin spielte sie vor allem Beethoven, Schumann und Liszt. Ihre Kompositionen umfassen u. a. Solo- und vierhändige Klavierwerke, Lieder, zwei Klavierkonzerte und ein Cellokonzert mit Orchester, Chorwerke und Werke für Stimme mit Orchester sowie eine Oper.

Unbedingt angeführt werden muss ihr Verdienst bei der Reformierung der Spieltechnik durch die Berücksichtigung der Hand- und Körperphysiologie sowie der Psychologie. Dafür studierte sie u.a. Neurowissenschaften. Praktisch forschte sie intensiv bei sich selbst und bei ihren Schülern an den Zusammenhängen der o. g. Disziplinen beim Klavierspielen und -üben. Ihre Studien veröffentlichte sie in vielen Büchern, sie sind bis heute als Jaëll-Methode bekannt und stellten damals eine umfassende Erneuerung der Klaviermethodik dar.[1]

Ihre 6 Esquisses romantiques pour Piano entstanden 1883 kurz nach dem Tod ihres Mannes. Der ursprüngliche Titel des Zyklus, so auch auf einem Manuskript zu lesen, lautete Six Préludes.[2] Zudem war die hier vorzustellende Nr. 5 Contraste auf dem Deckblatt der Ausgabe zunächst mit Chant du Passant bezeichnet. Dies wurde später doppelt durchgestrichen und der aktuelle Titel Contraste darunter gedruckt. Contraste, gewidmet der Comtesse Georges de Mniszech, ist ein typisch romantisches Charakterstück. In den Außenteilen begegnet uns ein As-Dur-Andantino, welches, spieltechnisch durchaus anspruchsvoll, von einer im 6/8-Takt schwingenden kantabel-erzählenden Melodie, einer ruhigen, meist halbtaktig geführten, manchmal orgelpunktartigen Basslinie sowie von weich nachschlagenden, synkopisiert wirkenden, auf beide Hände verteilten Begleit-Akkorden, -Doppelgriffen bzw. -Einzeltönen geprägt ist. Die freundlich-milde Grundstimmung wird nur kurzzeitig durch eine Molleintrübung etwas ernster, entwickelt dann bei deren Austritt sogar eine kurze ‚Duett-Passage‘ in den Außenstimmen. Ruhige Sechzehntelarpeggien lösen in der Folge die akkordische Begleitung ab. Es schließt sich ein c-Moll-Mittelteil im 2/4-Takt an. Die Überschrift Poco più lento bezieht sich auf die Achtel, die Spielanweisung lautet scherzando. Eine auf jeden Ton akzentuierte Melodie sowie ein markantes, scharf punktiertes Motiv beherrschen nun das musikalische Geschehen, begleitet von flott arpeggierten, kurzen scherzando-Akkorden. Der titelgebende Kontrast findet hier durch eine subito wechselnde Dynamik zwischen forte und pianissimo statt, gleichsam Leidenschaft und Elegie launisch aufeinanderfolgend verkörpernd. Schließlich kehrt das beruhigende Anfangsthema in der abgewandelten und verkürzten Reprise des ersten Teiles wieder, nun jedoch in tieferer Mittellage. Die Reprise mündet in eine Coda, welche das Stück immer leiser werdend und sich entfernend sanft ausklingen lässt.

Contraste ist ein sehr wirkungsvolles, romantisches Kleinod und eine spannende Charakter-Miniatur, welche sich gut in verschiedene Programme einpasst oder eine sehr dankbare Konzertzugabe gibt. Und vor allem darf es eine Einladung sein, sich eingehender mit dieser unglaublich vielseitigen und hochinteressanten Komponistin und Pädagogin zu beschäftigen.

Quellen:

[1] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Ja%C3%ABll, abgerufen am 24. November 2024.
[2] Vgl. https://www.bruzanemediabase.com/en/search?keys=Marie%20Jaell%20six%20Esquisses, abgerufen am 24. November 2024.

Ergänzend auch: Jannis Wichmann: Art. Marie Jaëll, in: https://www.sophie-drinker-institut.de/jaell-marie, abgerufen am 24. November 2024.

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