Damenblaskapellen – ein Schatz des Archivs Frau und Musik vorgestellt

Original Dornfels-Ensemble © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)
Original Dornfels-Ensemble © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)

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„Menschen, Tiere, Sensationen“ – der noch heute bekannte Slogan eines gleichlautenden Filmtitels aus dem Jahr 1938. Reisende Zirkusse und ‚Freakshows‘ gibt es von Alters her; besonders im 18. und 19. Jahrhundert lassen sich darunter zum Beispiel Kunstreiterinnen nachweisen, die als lebende Nachfahrinnen der legendären Amazonen auftraten, oder Dompteurinnen wie Cäcilie Nicolai in der Kompanie des Dompteurs Gottlieb Christian Kreutzberg (1810/14–1874).[1] Um 1830 bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein waren auch reisende Ensembles musikalischer Art in den Städten gefragt: So lassen sich zum Beispiel die noch heute bekannte Familie Grassl mit mehreren musizierenden und singenden Kindern aus Berchtesgaden als begehrte Truppe in den Gaststätten und teils als Zwischenakte auf Theaterbühnen nachweisen; Gruppen aus Böhmen oder München, die jodelnd mit Zither- und Gitarrenmusik die neuesten Walzer und Polkas aufspielten, die zuvor Joseph Lanner und Johann Strauss sen. mit Orchester auf Tourneen in den Städten bekannt machten. Vereinzelt lassen sich darunter auch Klarinettistinnen und sogar eine 6jährige Solo-Posaunistin nachweisen, die um 1844 offenbar professionelle Konzerte gab.[2]

Diese Frauen sind die unmittelbaren Vorgängerinnen zu den Damenblaskapellen der Kaiserzeit, von denen das Archiv Frau und Musik die weltweit größte und umfassendste Postkartensammlung aufweisen kann.

In dieser Zeit fanden Frauen noch keine Anstellung in regulären Orchestern. Die beliebten Damenblaskapellen dienten der Unterhaltung, nicht der ‚hohen Kunst‘. Dazu erzählt auch Gesa Finke: „Frühe Formationen von Damenkapellen gab es tatsächlich schon Ende des 18. Jahrhunderts, und die gingen aus sogenannten Wanderkapellen hervor. Diese tauchten vor allem in den Anfängen der Industrialisierung auf, denn viele Frauen im handwerklichen Gewerbe haben dann ihre Arbeit verloren und sich nach neuen Erwerbsmöglichkeiten umgesehen und sich zu Damenkapellen zusammengeschlossen.“[3]

Damen-Blas-Orchester "Alt-Heidelberg" © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)
Damen-Blas-Orchester “Alt-Heidelberg” © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)

Eine wichtige Rolle für die Verbreitung von Damenkapellen im frühen 19. Jahrhundert spielten drei Musikanten-Städte: Das hannoveranische Salzgitter, das böhmische Preßnitz und das heute thüringische Hundeshagen. Alle drei lagen in vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen. Hier entschieden sich mitunter mehr Frauen als Männer für den Musikerberuf. In Preßnitz, wo eine spezielle Schule für Wandermusikanten gegründet wurde, waren zeitweise ein Drittel Schulmädchen vertreten. Der Aufstieg der Damenkapellen erfolgte mit dem Durchbruch der modernen Massen-Unterhaltungskultur Mitte des 19. Jahrhunderts. Aus Schaubuden auf Marktplätzen wurden feste Varieté-Bühnen, Lokale etablierten Unterhaltungsprogramme, und es entstanden Agenturen für Künstlervermittlung.[4]

Viele Damenblaskapellen waren von Männern geführt und geleitet, da Frauen in dieser Zeit in der Regel für geschäftliche Beschlüsse und Verträge einen männlichen Vormund brauchten. „Arbeitszeiten, Animierzwang und das Spendensammeln rückten die Musikerinnen nach den bürgerlichen Moralvorstellungen der prüden Kaiserzeit in die Nähe von Prostituierten. Es wurden bereits Stimmen laut, die forderten, daß sie unter Polizeiaufsicht gestellt werden sollten – ebenso wie die Freudenmädchen. Die Musikerinnen strebten 1898 die Gründung eines Interessenverbandes an, der es sich zur Aufgabe machen sollte, die Damenkapellen gegen niedrigste Gagen, schlechte Unterkünfte, sowie gegen erniedrigende Zumutungen wie Animieren und Spendensammeln zu schützen“, so Dorothea Kaufmann, die sich in ihren Forschungen intensiv mit dem Phänomen Damenblaskapellen befasst hat.[5]

Der Niedergang der Damenblaskapellen geschah durch die Erfindung und Etablierung der Schallplatte, da es auf Dauer günstiger war, Musik über Apparate abzuspielen, anstatt eine ganze musizierende Truppe einen Abend lang durchzufüttern. Auch der Zweite Weltkrieg setzte dem Trend Damenblaskapelle ein vorläufiges Ende. Zwar entstanden in der Weimarer Republik weitere teils größere Ensembles wie das Tanzorchester von Edith Lorand; im sog. Dritten Reich verlor sich dann der Ensemble-Charakter hin zu einer Hervorhebung einzelner Stars.

Erst durch die Student*innenbewegung der 1960er Jahre kamen erneut Frauenbands auf wie die Flying Lesbians oder Carambolage. Auch im Filmgeschäft fand die Damenblaskapelle neuerdings wieder Beachtung: Im Film Colette (2018) mit Keira Knightley in der Hauptrolle findet man eine fiktive Kapelle im Pariser Moulin Rouge – in einer Szene, in der Colette dort auftritt.

Teil der Postkartensammlung des Archivs Frau und Musik © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)
Teil der Postkartensammlung des Archivs Frau und Musik © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)

Einen Teil der Postkarten der Sammlung zu Damenblasorchestern aus dem Archiv Frau und Musik kann man online finden, die im Rahmen  des Digitalisierungsprojekts #PARFUMO des Digitalen Deutschen Frauenarchivs (DDF) ermöglicht wurde. Im Suchfeld der DDF-Webseite gelangen Sie unter dem Stichwort Damenblaskapelle zu den dort online ausgestellten Exponaten. Wir wünschen viel Freude beim Stöbern!

Weiterführende Literatur
Anna-Selina Sander: Jenseits zwielichtiger Damenkapellen, in: Schott Music International (Hg.): Musikforum, Heft 4, 2010.
Gerlinde Obermaier: “Wenn die Damen pfeifen, gehen die Grazien flöten”. Eine Ausstellung rund um die Damenorchesterkultur in der Kaiserzeit, in: KulturMagazin (k) Nr. 37, 1998.
Ulrike B. Keil: Von Wandermusikanten zum Damenorchester: Professionelle Damenkapellen und Frauenorchester um die Jahrhundertwende, in: B. Schott’s Söhne (Hg.): Das Orchester Nr. 11, 1998.
Stephanie Höhle: Die Darstellung der Frau in der Ausstattungsrevue der zwanziger Jahre, in: Archiv Frau und Musik (Hg.): VivaVoce Nr. 90, 2011.
Dorothea Kaufmann: “…routinierte Trommlerin gesucht…” Musikerin in einer Damenkapelle. Zum Bild eines vergessenen Frauenberufes aus der Kaiserzeit. Schriften zur Popularmusikforschung 3, als Leseprobe.
Dorothea Kaufmann: “Wenn Damen Pfeifen gehen die Gracien flöten”. Die Musikerin in der deutschen Tanz- und Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts, als Digitalisat.

Einzelnachweise
[1] Vgl. Susanne Wosnitzka: Menagerien – Reisende Sensation und Grausamkeit. Funde in historischen Augsburger Zeitungen. Augsburg 2019. Online-Blog: https://susanne-wosnitzka.de/menagerien-sensation-und-grausamkeit-funde-in-historischen-augsburger-zeitungen (Stand: 01.09.2020).
[2] Vgl. bislang noch private Forschungen von Susanne Wosnitzka im Rahmen ihrer Dissertation zur Musikgeschichte der Goldenen Traube in Augsburg anhand hist. Tageszeitungen.
[3] Vgl. Christian Berndt/Ralf Bei der Kellen: Frauen haben schon immer Musik gemacht. Die Geschichte der Damenkapellen. Deutschlandfunk Kultur, 14.03.2018. Online-Beitrag: https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-geschichte-der-damenkapellen-frauen-haben-schon-immer.976.de.html?dram:article_id=413018 (Stand: 01.09.2020), darin auch u. a. Mary Ellen Kitchens (Vorstand IAK/AFM) als Interviewte.
[4] Vgl. ebda.
[5] Vgl. Dorothea Kaufmann: “Wenn Damen Pfeifen gehen die Gracien flöten”. Die Musikerin in der deutschen Tanz- und Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts, als Digitalisat: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/5188/pdf/Popularmusik-02_S52-65.pdf (Stand: 04.09.2020), S. 60.